Wie so oft bei Erfindungen stellt sich die Frage: Warum ist da nicht schon früher jemand drauf gekommen? Diese Frage kam auch bei Gleisbauer Jens Rose aus Kassel auf, als er über Pflanzenkohle nachdachte, also über verbrannte Biomasse.
Kassel – Er experimentierte und testete – jetzt hat Rose seine Erfindung, die er „Gleiserde“ genannt hat, als Gebrauchsmuster beim Deutschen Patentamt registrieren lassen.
Mit dem Material, das wie klein gehackte Holzkohle aussieht, können Gleisbetten verfüllt werden, insbesondere in Städten. Denn die Gleis-Erde hat drei besondere Eigenschaften: Sie speichert Wasser, düngt den Boden und bindet Kohlendioxid.
„Dieses Produkt hat Zukunft“, sagt Rose, 61, der das Gleisbauunternehmen mit aktuell 440 Mitarbeitern führt. Der Schotter im Gleisbett heize sich durch die Sonneneinstrahlung auf und gebe die Wärme nachts ab. „Das trägt zur Klimaerwärmung bei.“ Die neue Gleiserde erleichtere zudem die Begrünung des Gleisbetts, was insbesondere im innerstädtischen Bereich positive Effekte habe, berichtet Rose. Denn Rasen zwischen den Schienen, egal ob ausgerollt oder eingesät, reduziere den Schall und mindere so die Rollgeräusche der Straßenbahnen.
Durch die Gleiserde entfalle an heißen Tagen auch das tägliche Wässern des Rasens: „Die Gleiserde bindet bis zu siebenmal länger Niederschläge wie herkömmlicher Boden im Grünbereich zwischen und neben den Gleisen.“ Dadurch sei der Rasen länger grün, insbesondere in längeren Trockenperioden. Eine teure und wartungsintensive Bewässerungsanlage im Boden sei nicht nötig.
Beim Pilotprojekt arbeitete Rose-Gleisbau mit den Kasseler Verkehrs-Gesellschaft (KVG) zusammen, die hierfür eine Teilstrecke im Stadtteil Forstfeld zur Verfügung stellten. Im Herbst 2022 wurde ein Bahnübergang an der Haltestelle Lindenberg erneuert. Die Arbeiten führte Gleisbau Rose aus, und in diesem Zuge arbeiteten sie auf einer Strecke von 50 Meter Gleis-Erde zwischen die Schienen – in zwei Abschnitten.
Ein Stück wurde anschließend mit Rollrasen versehen, das zweite Stück eingesät. Die Frage war, ob die Gleiserde dazu beiträgt, dass Samen gedeihen können, selbst wenn sie erst im Oktober eingesät werden.
Der Test war erfolgreich: Jetzt, drei Monate später, sind die Grashalme nahezu dicht gewachsen, obgleich die feinkörnige Gleiserde an vielen Stellen noch durchscheint. Die Gleis-Erde wurde übrigens vor dem Einbau zusätzlich mit Gülle als Dünger versetzt, wie Rose erklärt.
Grundsätzlich funktioniert der Einbau so: Zwischen den Gleisen liegt der herkömmliche Basalt-Schotter als unterste Schicht. Darauf kommt ein wasserbindendes Flies und anschließend eine Schicht Gleiserde. Das Flies trennt den Schotter von der Gleiserde, damit diese sich nicht einmischt. Diese Gleiserde ist grob gekörnt: Wegen ihrer poröseren Struktur und größeren Oberfläche kann sie mehr Wasser binden. Diese Schicht wird anschließend durch Erde geschützt, darauf kommt dann eine feine Körnung der Gleiserde, die vom Regen in die Erde eingewachsen wird und sie somit düngt. Anschließend folgt Grassamen oder Rollrasen.
Rose betont einen weiteren ökologischen Effekt: „Die Gleiserde verbessert die Ökobilanz bei Baustellen und gleicht die Emissionen aus.“ Denn bei Bauprojekten setzen Maschinen und Materialien Emissionen frei, beispielsweise Feinstaub.
Die Gleiserde ist ein Recyclingprodukt: Holzstoffe, Abfälle, tierischer Mist und Klärschlamm wurden im sogenannten Pyrolyse-Verfahren unter Ausschluss von Sauerstoff sehr stark erhitzt. Dadurch wurde ein Großteil des Kohlenstoffs gebunden und nicht, wie bei einer Verbrennung, in die Atmosphäre abgegeben. Pflanzenkohle ist das Endprodukt. Und die kann, angereichert mit Gülle, im Gleisbett landen und für besseren Bewuchs zwischen den Schienen sorgen. (Claudia Feser)
Comments